Muster erkennen in medizinischen Daten

Prof. Thomas Martinetz (links) und Prof. Erhardt Barth

Jeder Besitzer eines Smartphones erfährt heute alltäglich die Fortschritte, die in den letzten Jahren in der Sprach- und Handschriften-Erkennung gemacht wurden. Solche technischen Erfolge werden vor allem durch die Technologie der „Mustererkennung“ in der Neuroinformatik ermöglicht.

Das Lübecker Institut für Neuro- und Bioinformatik (INB) forscht schwerpunktmäßig in diesem Bereich und entwickelt gemeinsam mit Unternehmenspartnern Anwendungen für den klinischen Einsatz. Das INB beteiligt sich gegenwärtig auch am Projekt „Industrie-in-Klinik-Plattform Lübeck“. Prof. Thomas Martinetz (links) und Prof. Erhardt Barth beschäftigen sich mit neuronalen Netzen (Hintergrund) und darauf basierenden Zukunftstechnologien.

Die Neuroinformatiker orientieren sich am Vorbild der Natur, nämlich dem Gehirn mit seinem komplexen neuronalen Netzwerk. In ihren Modellen bauen sie mit sogenannten „künstlichen Neuronen“ (also mit rein mathematischen Elementen) algorithmische „neuronale Netze“ auf, die im Prinzip wie ein biologisches Nervensystem rechnen und lernen können. Die Schrift- oder Spracherkennung von Smartphones basiert auf diesem Prinzip. Hier wird bei allem Variantenreichtum der möglichen Aussprachen oder Handschriftlinien zum Beispiel eines Wortes inzwischen recht zuverlässig das gemeinte „Muster“ erkannt, das dann als Wort auf dem Display erscheint.

„Die besondere Stärke unserer Neuroinformatik-Modelle und der entsprechend programmierten Anwendungsalgorithmen liegt darin, dass in vorliegenden, oft großen Datenmengen sehr schnell und treffsicher Muster erkannt, ausgewertet und zur Weiterverarbeitung zur Verfügung gestellt werden können“, erklärt Professor Thomas Martinetz das technologische Erfolgsrezept bei der Arbeit am INB, das er leitet. „So ist es zum Beispiel im klinischen Zusammenhang möglich, Augenbewegungen von Patienten in Echtzeit zu verfolgen beziehungsweise zu analysieren oder aus der Vielzahl von vorhandenen medizinischen Bilddaten die für Diagnose und Therapie relevanten Muster herauszufiltern“, ergänzt Professor Erhardt Barth, der das INB mit aufgebaut hat. Auch für neue „Smart Alarm Systeme“ in der Klinik oder beim Patienten zu Hause brauche man entsprechende Software, die aus den vielen bei der Überwachung ermittelten Messwerten mit großer Sicherheit das bestimmte Muster ermittelt, das dann zum sinnvollen Auslösen eines Alarms führt.

Eines der Verfahren aus dem INB ist gegenwärtig im Bereich der Labordiagnostik bereits im industriellen Einsatz: Hier werden Mikroskopbilder vollautomatisch ausgewertet. Eine andere Software aus dem Institut sorgt bei einem Industriekunden dafür, dass das vorhandene Gewebe bei der Bestückung von Biochips optimal verwertet wird. „Aktuell arbeiten wir an einer Machbarkeitsstudie zum Thema der automatisierten Auswertung von Sensordaten im Hinblick auf die Gerätesteuerung bzw. -regelung bei Beatmungsgeräten“, verrät Thomas Martinetz. Der 53-Jährige sieht seine Arbeit nicht nur als reine Forschung, sondern blickt immer auch auf die Anwendung: „Wir sind Entwicklungspartner der Hersteller, können als Dienstleister bei Bedarf auch komplette Software-Systemkomponenten für medizintechnische Geräte bauen.“

Für die Zukunft erwartet der Neuroinformatiker weitere Anwendungserfolge unter anderem im Bereich der Gestensteuerung: „In Verbindung mit einer bestimmten Kameratechnik sind unsere Algorithmen hier bereits auf dem Weg in das Auto von morgen. Mit kleinen, natürlichen Gesten der Hand, wie sie dort verwendet werden, lassen sich aber zum Beispiel auch Geräte im OP besser steuern als per Tastatur, Maus oder Touchscreen.“

(Lübecker Nachrichten, 2. Dezember 2015)